- Ort
- 33604 Bielefeld, Detmolder Straße 107
- Ursprüngliche Nutzung
- Kirche der Evangelischen Kirche von Westfalen
- Neue Nutzung
- Jüdische Synagoge Beit Tikwa
- Gebäude
- 1963 erbaut, Architekt: Denis Joseph Boniver (1897–1961), Mettmann | 2008 Umbau zur Synagoge, Architekt: Klaus Beck, Bielefeld; Innengestaltung und Glasfenster: Matthias Hauke, Bielefeld; Ingenieure: Ingenieurgesellschaft Laskowski mbH, Bielefeld
- Denkmalschutz
- Das Kirchengebäude steht nicht unter Denkmalschutz.
Ortslage | Städtebauliche Situation
Die heutige Synagoge Beit Tikwa liegt an einer Ausfallstraße in südöstlicher Richtung vom Bielefelder Zentrum im Stadtbezirk Mitte. Die Umgebung ist durch ein gehobenes Wohnviertel mit aufgelockerter gründerzeitlicher Bebauung geprägt. Der ursprünglich mit hohem Spitzdach versehene, zur Detmolder Straße orientierte Kirchturm des Ausgangsgebäudes ist heute, gekürzt und tonnengedeckt, weiterhin als städtebauliches Zeichen im Straßenverlauf wahrnehmbar, aber nicht mehr in der Stadtsilhouette präsent. Das Gebäude setzt sich von der Straße mit einer mannshohen Mauer ab, die von einem ebenfalls mit einem Tonnendach überspannten Eingangstor durchbrochen wird.
Gebäude | Bauform
Das ursprüngliche, rechtwinklig zur Straße orientierte Kirchenschiff wurde beibehalten. Vom eigentlichen Kirchenraum sind nur noch die groben Raummaße mit zweiseitig hoch gelegenen Fensterbändern und die ursprüngliche nordöstliche Altarwand mit sieben kreisförmig angeordneten, neu gestalteten Buntglasfenstern sowie die Orgel in einer Wandnische erhalten geblieben. Vor dieser Wand befinden sich heute, um drei Stufen erhöht, der Toraschrein, der Lesetisch und das Vortragspult. Der ursprüngliche Raumabschluss mit einem Pultdach wurde ebenfalls durch eine flach gewölbte Tonnendecke ersetzt.
Historische Bedeutung | Soziales Umfeld
k. A.
Kirchliche Nutzung | Einbindung in die Bürgergemeinde
k. A.
Prozess | Beteiligte
k. A.
Nutzungskonzept | Neunutzung
Das Kirchengebäude wurde an die jüdische Gemeinde verkauft und die Umgestaltung mit Geldern der Gemeinde und Fördergeldern des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Stadt Bielefeld umgesetzt. Zur Synagoge „Beit Tikwa“ (hebräisch: „Haus der Hoffnung“) umgestaltet, werden die ehemaligen Kirchen- und Gemeinderäume auch in der neuen Form in nahezu gleicher Funktion als Sakralraum und Versammlungsort für Gemeinde- und Kulturarbeit der Jüdischen Kultusgemeinde Bielefeld genutzt. Unterschiedliche, auch nicht sakrale Gemeinderäume und eine Bibliothek haben darin Platz gefunden.
Besonderheiten | Erfahrungen
Die ehemalige Paul-Gerhardt-Kirche gehört neben der 2013 zu einer Moschee umgenutzten Evangelischen Kapernaumkirche in Hamburg sowie den ebenfalls zu Synagogen umgenutzten Kirchen in Hannover (vormals Evangelische Gustav-Adolf-Kirche, 2009) und in Speyer (vormals Katholische St. Guido-Kirche, 2011) zu den wenigen Beispielen für die Nachnutzung einer Kirche durch eine andere Religionsgemeinschaft in Deutschland.
Nach der Fusion von zwei Kirchengemeinden und dem Beschluss zum Verkauf der Kirche entwickelte sich in der Paul-Gerhardt-Gemeinde allerdings erheblicher Widerstand unter Gemeindemitgliedern, die sich in die Entscheidung nicht eingebunden fühlten. Der Kritikpunkt war dabei nicht die Neunutzung als Synagoge, sondern der Verlust der eigenen Kirche. Dieser Widerstand mündete in die Gründung einer Bürgerinitiative mit ca. 80 Mitgliedern und eine dreimonatige Besetzung des Kirchengebäudes durch Initiativenmitglieder unter großer Medienaufmerksamkeit.
An diesem Beispiel wird deutlich, welche negativen Energien ein unzureichend vermittelter Umnutzungsprozess für ein Kirchengebäude erzeugen kann. Dieser hatte nach negativer Aufmerksamkeit, Aushandlung von Kompromissen und Austritten frustrierter Gemeindemitglieder noch lange Nachwirkungen in der Kirchen- und Bürgergemeinde. Es ist daher empfehlenswert, auf eine besonders sorgfältige Projektkommunikation zu achten.
Der Nutzungswechsel des Gebäudes von einem Kirchen- zu einem Synagogen-Sakralraum ist ein interessanter Beitrag zur Konversion von Kirchen unter Beibehaltung einer sakralen Nutzung und kann zu einem interreligiösen Dialog vor Ort anregen. Unter sozialen Aspekten ist die Nutzung von Standort und Gebäude für Gemeinde-, Kultur- und Jugendarbeit hervorragend gelungen. Gestalterisch ist mit der Einbeziehung von Gebäudeteilen der schlichten Nachkriegskirche – ohne gestalterische Unterscheidung zwischen Altsubstanz und Hinzufügungen – ein neuer, stimmiger Raumeindruck entstanden.
Jörg Beste, synergon Köln