Projekt

Neue Pauluskirche | Seniorenwohneinrichtung und Pflegeheim „Paulus-Quartier“

Essen
Ort
45138 Essen, Steeler Straße/Knaudtstraße
Ursprüngliche Nutzung
Pfarrkirche und Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Altstadt; Evangelische Kirche im Rheinland
Neue Nutzung
Seniorenwohneinrichtung und Pflegeheim „Paulus-Quartier“ der Adolphi-Stiftung Senioreneinrichtungen gGmbH, Essen
Gebäude
1957–1959 erbaut, Architekt: Denis Joseph Boniver (1897–1961), Mettmann; Glaskunst: Prof. Hans Gottfried von Stockhausen (1920–2010), Stuttgart | 2007 entwidmet | 2012 Entwurf Seniorenwohneinrichtung und Pflegeheim: zwo+ architekten, Bochum | 2013–2014 realisiert | 2015 eröffnet
Denkmalschutz
Das Kirchengebäude steht unter Denkmalschutz.

Ortslage | Städtebauliche Situation

Die Kirche liegt ca. 2 Kilometer vom Stadtkern entfernt am Eingang zu einem durchgrünten Wohngebiet mit Gebäuden verschiedener Altersklassen und Strukturen. Am Standort der Kirche haben sich mehrere Einzelhändler als kleines Zentrum angesiedelt und geben mit ihr zusammen dem von Autobahn A40 und Steeler Straße durchschnittenen Stadtteil einen Mittelpunkt.
Die Neue Pauluskirche ist aufgrund ihrer Größe und des Erscheinungsbildes die einzige städtebauliche Dominante im Umfeld des Stadtteils. Das Gebäude der Kirche liegt als massiver, hoch aufragender und flach gedeckter Baukörper mit rechteckigem Grundriss etwas zurückgesetzt an der Steeler Straße. Auf der südwestlichen Gebäudeecke befindet sich ein kleiner Turm als Glockenträger. Im Norden schloss sich, parallel zur Knaudtstraße und ebenfalls zurückgesetzt, ein eingeschossiges Gemeindezentrum mit Gemeindesaal und Gruppenräumen an. An dieser Stelle wurden ergänzende Bauten für das Seniorenzentrum an das ehemalige Kirchengebäude angebaut.

Gebäude | Bauform

Die an diesen Seiten mit Bruchsteinen verblendeten Fassaden des ehemaligen Kirchenbaus waren ursprünglich zur Steeler Straße und zur Knaudtstraße hin nur durch wenige kleine, kreuzförmige Lichtöffnungen aus Betonsteinen durchbrochen. Hierdurch entstand der Eindruck eines monumentalen Baukörpers, der auf der Südfassade nur durch eine auskragende Taufkapellennische akzentuiert war.

Das Innere der Kirche wurde von einer monumentalen Kreuzform aus Beton mit einem mehrteiligen Buntglasfenster in der Altarwand dominiert, das in das Raster des innen sichtbaren Betonstützensystems integriert war. Diese im oberen Teil des Kreuzes eingepassten Buntglasfenster („Offenbarung“) umgeben ein zentrales Rundfenster mit Lamm-Motiv. Die zurückhaltende Gestaltung der Innenwände mit sichtbaren Betonstützen und Ziegelausfachungen wie auch die Lichtführung mit hoch gelegenen verglasten Betonfertigteilen in der Nordwand steigerten die Wirkung des kreuzförmigen Ostfensters.

Historische Bedeutung | Soziales Umfeld

Der Kirchenname erinnert an die im Krieg zerstörte alte Pauluskirche in der Essener Innenstadt. Die Neue Pauluskirche wurde als Nachfolgebau im erst 1908 eingemeindeten Stadtteil Huttrop als stark anwachsendem Wohngebiet der Altstadtgemeinde errichtet. Im Umfeld der Kirche befinden sich neben der überwiegenden aufgelockerten Wohnbebauung noch zwei Krankenhäuser, eine große Firmenzentrale und der größte Friedhof der Stadt.

Kirchliche Nutzung | Einbindung in die Bürgergemeinde

Die Evangelische Kirchengemeinde litt seit mehreren Jahren unter rückläufigen Mitgliederzahlen und einem strukturellen Finanzdefizit.
Im Jahr 2002 wurde zum Zweck der Konsolidierung und auf Basis einer Gebäudestrukturanalyse beschlossen, mit der Neuen Pauluskirche, die mit ihrem Raumangebot und ihrem Standort für die Gemeinde die größte Belastung darstellte, eine der vier zugehörigen Kirchen aufzugeben. Nachdem 2007 die Entscheidung der Kirchengemeinde zur Entwidmung gefallen war, gründete sich in der Huttroper Bürgerschaft ein Verein für den Erhalt der Kirche.

Prozess | Beteiligte

Die Evangelische Kirchengemeinde ließ zunächst prüfen, ob eine Neunutzung der Kirche durch das Diakoniewerk Essen möglich sei. Die untersuchte Nutzungsidee eines Veranstaltungszentrums mit überregionalem Charakter für die Diakonischen Werke in Nordrhein-Westfalen ließ sich aber nicht wirtschaftlich tragfähig realisieren. Die Bearbeitung der Machbarkeitsstudie hatte allerdings viele Beteiligte auf städtischer und kirchlicher Seite zusammengebracht, sodass sich mit der Adolphi-Stiftung ein evangelischer Partner aus Essen fand, der den Standort umnutzen wollte. Die neue Nutzungsidee stellte erhebliche Anforderungen an die Abstimmung mit der Denkmalpflege, die von Anfang an in den Prozess eingebunden war.

Nutzungskonzept | Neunutzung

Das ehemalige Pfarrhaus wurde zu einer Kindertagesstätte umgenutzt. Der Gebäudeteil des ehemaligen Gemeindezentrumswurde abgerissen und die Kirche an dieser Stelle um zwei neue, viergeschossige Baukörper für das Seniorenwohnzentrum ergänzt. Das neue Nutzungskonzept bedeutete auch harte Eingriffe in das Kirchengebäude, da in die Hülle drei neue Ebenen für eine viergeschossige Pflegenutzung eingebaut wurden. Hierfür wurden in den vorher weitgehend geschlossenen Fassaden auf der Süd- und Westseite zusätzliche Fensteröffnungen ergänzt, zusammengefasst mit einem Rahmen aus Betonbändern. Die ursprünglichen kleinen Fensteröffnungen blieben dabei erhalten. Auf der Nordseite wurden über dem neuen Haupteingang zwischen den zwei angebauten viergeschossigen Gebäudeflügeln drei Achsen der Wand aus Betonsteinen mit Kreuzlochung bewahrt. An dieser Stelle wurde in den ehemaligen Innenraum ein dreigeschossiges Atrium eingeschnitten. Das Kunstwerk in der Ostwand aus Glas und Betonkreuz ist in einem ca. 8 Meter hohen Gemeinschaftsraum im 2. Geschoss erhalten geblieben, ebenso die halbrunde Taufkapelle mit Taufbecken und einem Buntglasfenster in der darunterliegenden, ca. 7 Meter hohen Cafeteria. Die Einbauten der neuen Geschossebenen sind nicht reversibel ausgeführt.

Die Umnutzung in ein Wohn- und Pflegeheim stellt aufgrund der sehr präzisen Raumvorgaben für die Förder- und Abrechnungsfähigkeit derartiger Einrichtungen hohe Anforderungen an die Planung. In Abstimmung mit der Unteren Denkmalbehörde blieben an dieser Stelle vor allem das äußere Erscheinungsbild und die städtebauliche Dominante als Identitätsgebäude für den Stadtteil bewahrt. Weiterhin wurden mit dem ehemaligen Altarbereich und der Taufkapelle sowie dem großen Glaskunstwerk wichtige Raumteile und ihre Ausstattung erhalten.

Besonderheiten | Erfahrungen

Nach dem Scheitern erster Nutzungsideen wurde jahrelang nach Interessenten und einer passenden Nutzung für das Gebäude gesucht. Letztendlich hat sich bei diesem Projekt die enge Zusammenarbeit von städtischen und kirchlichen Beteiligten ausgezahlt. Mit einer evangelischen Stiftung konnte ein neuer Nutzer gefunden werden, der die kirchlichen und die sozialen Ansprüche an eine Nachnutzung gut erfüllt.

Was die baukulturellen Ansprüche angeht, war in diesem Fall insbesondere von der Denkmalpflege, aber auch von Nutzern und Architekten eine große Flexibilität gefragt. So wünschenswert derartige soziale Nutzungen in einem ehemaligen Kirchengebäude für das Quartier sind, so gravierend sind auch die Eingriffe in die Gebäudestruktur eines großen Kirchenraumes. Weniger stark eingreifende Nutzungen konnten hier trotz intensiver Suche allerdings nicht gefunden werden. Ein Abwägungsprozess zwischen Teilerhalt oder mittel- bis längerfristigem Totalverlust war erforderlich. Hierzu hatten die beiden beteiligten Denkmalpflegeinstitutionen unterschiedliche Haltungen. An diesem Gebäude entwickelte sich somit eine intensive Auseinandersetzung zwischen der das Projekt als Genehmigungsinstanz begleitenden Unteren Denkmalbehörde der Stadt Essen und dem fachlich beratenden LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, das die deutlichen Veränderungen der Denkmalsubstanz nicht mittragen wollte. Zur genehmigten Planung wurde das Benehmen zwischen diesen Institutionen ohne Konsens hergestellt. Nach Fertigstellung der Bauarbeiten stellte das LVR-Amt Anfang 2017 einen Antrag auf Löschung aus der Denkmalliste, da es das Denkmal für zu stark verändert hielt. Die Untere Denkmalbehörde der Stadt Essen argumentierte dagegen, dass bei dem für die Umnutzung notwendigen Umbau die städtebauliche Präsenz und Wirkung sowie prägende Gestaltungs- und Ausstattungsteile des Ursprungsbaus erhalten geblieben seien, und hielt die Denkmaleigenschaft aufrecht. Diese Konfliktsituation hat nicht nur eine baukulturelle, sondern ggf. auch eine finanzielle Dimension, da an der Denkmaleigenschaft mitunter steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Umbauinvestitionen hängen können.

Nutzungsänderungen von Denkmälern sind immer mit Substanzverlust verbunden. Insbesondere für Kirchengebäude gibt es nur wenige Nutzungen, die die großen, offenen Räume unverändert und tragfähig erhalten können. Dies gilt in besonderem Maß für das Ruhrgebiet, wo passende Kulturnutzungen in den letzten Jahrzehnten häufig in umgenutzten Industriebauten untergebracht wurden und nun eine besondere Vielzahl von Kirchen zur Disposition steht. In diesem Zusammenhang ist der Grad der Veränderung, der zum Erhalt der Gebäude und wichtiger Ausstattungen akzeptabel ist, auch vonseiten der Denkmalpflege nicht einfach zu bestimmen. Ohne die in diesem Fall gefundene neue Nutzung wäre das Gebäude der Neuen Pauluskirche dem Verfall ausgesetzt gewesen, und so wäre höchstwahrscheinlich irgendwann auch seine städtebauliche Wirkung verloren gegangen. Die Denkmalpflege muss bisweilen auch individuelle Entscheidungen für weitgehendere Veränderungen treffen, um Denkmälern an unterschiedlichen Standorten gerecht zu werden. Erforderlich ist in jedem Fall eine hohe gestalterische Qualität der Neuinterpretation, um ggf. notwendige Verluste an hochwertiger Bausubstanz hinnehmen zu können.

Jörg Beste, synergon Köln

Siehe auch:

Zwo+Architekten, Projekt

Weitere Informationen zum Projekt:

http://adolphi-stiftung.de/einrichtungen/senioren-und-pflegeeinrichtungen/paulus-quartier/