- Ort
- 46049 Oberhausen, Gustavstraße 54
- Ursprüngliche Nutzung
- Katholische Pfarrkirche des Bistums Essen
- Neue Nutzung
- Ausgabestelle der Oberhausener Tafel e.V.
- Gebäude
- 1955 - 1958 erbaut, Architekten: Rudolf Schwarz und Josef Bernard | seit 2007 Nutzung des Gebäudes durch die Oberhausener Tafel e.V. | 2022 Gründung des 'Vereins zur Förderung der Tafelkirche Heilige Familie e.V.'
- Denkmalschutz
- Das Kirchengebäude steht unter Denkmalschutz.
Ortslage | Städtebauliche Situation
Die katholische Kirche ‚Heilige Familie‘ befindet sich im Zentrum von Oberhausen, nahe des Hauptbahnhofes an der zentralen und viel befahrenen Buschhausener Straße. Das umgebende Stadtquartier wird dreiseitig vom Schienennetz begrenzt und weist eine sehr heterogene Nutzungsstruktur auf. Neben klassischer Wohnbebauung in Form von Mehrfamilienhäusern befinden sich auch gewerblich genutzte Areale sowie das LVR Industriemuseum in der ehemaligen ‚Zinkfabrik‘ Altenberg in der direkten Umgebung. Richtung Westen erstreckt sich der Altenberger Park und in der Folge das Bero-Zentrum, ein großes überregionales Einkaufszentrum.
Das Sakralgebäude befindet sich auf einer durch zwei Seitenstraßen der Buschhausener Straße dreieckig zugeschnittenen Fläche, auf der sich neben der Kirche samt Sakristei noch eine freikirchliche Gemeinde sowie ein Kindergarten befinden. Dieses Gebäude- bzw. Funktionsensemble bildet das soziale Zentrum des Stadtquartiers, was zudem durch die Nutzung der Kirche als zentraler Ausgabeort der Oberhausener Tafel verfestigt wurde.
Dabei ist das Sakralgebäude durch die für ein Kirchengebäude ungewöhnlich niedrige Gebäudehöhe sowie den fehlenden Kirchturm aus dem Stadtraum heraus baulich nicht direkt zu erkennen.
Gebäude | Bauform
Bei der Kirche Heilige Familie handelt es sich um ein bedeutendes Beispiel des deutschen Kirchenbaus in der Nachkriegszeit. Sie wurde von 1955 bis 1958 errichtet. Die Architekten Rudolf Schwarz und Josef Bernard haben mit der ungewöhnlichen Konzeption als quadratische Hallenkirche die Ereignisse des erst zehn Jahre später folgenden zweiten vatikanischen Konzils praktisch bereits vorweggenommen.
Der quadratische Kirchenraum wird von einer Betonrippendecke überspannt, die von vier schlanken Säulen getragen wird und auf den Außenmauern aufliegt. Im Zentrum des Raumes befindet sich der ebenfalls quadratische Altarbereich, der sich durch eine Stufe und einen Materialwechsel im Boden deutlich abhebt. Zu den Gottesdiensten hat sich die Gemeinde an drei Seiten um den Altarbereich wie eine Familie versammelt. Statt eines klaren Gegenübers bildeten Pfarrer und Gemeinde durch diese räumliche Struktur eine Gemeinschaft. Rückseitig waren die Orgel sowie Sitzbänke für Geistliche und Messdiener verortet.
Typisch für die Nachkriegszeit wurden als Baumaterialien hauptsächlich Beton und Ziegelstein verwendet. Auf einem circa drei Meter hohen, geschlossenen Ziegelsockel sitzt eine gerasterte Betonstruktur auf. Diese wird mosaikartig von kleinformatigen Fensteröffnungen nach dem Entwurf des Künstlers Wilhelm Buschulte durchbrochen. So ergibt sich ein durgehendes Fensterband, welches den Innenraum gleichmäßig beleuchtet. Die starke horizontale Trennlinie zwischen Ziegel und Betonmosaik teilt den Raum in zwei Schichten, die für den Gegensatz zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen stehen sollen. Direkt an den Kirchenraum grenzt ein deutlich niedrigerer Bereich an, in dem die kleinere Werktagskirche untergebracht war.
Ein besonderer Fokus der Architektur liegt zudem auf klaren Sichtbeziehungen. Durch gezielte gläserne Wandöffnungen in der zentrale Hauptachse kann der Blick von außen aus dem öffentlichen Stadtraum durch die Werktagskapelle direkt bis ins Zentrum des Kirchenraumes, den Alter, fallen.
Historische Bedeutung | Soziales Umfeld
In den 1950er Jahren gab es durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges nicht genug Kirchengebäude für die durch die Großindustrien stark wachsende Bevölkerung im Ruhrgebiet. Es entstanden in kurzer Zeit viele Sakralbauten, aus denen sich ein ganz neuer Typus entwickelte. Bekannte Architekten waren in diesem Zuge neben Gottfried auch Rudolf Schwarz. Bei der Kirche Heilige Familie handelt es sich dabei um einen der wenigen Zentralbauten aus dieser Zeit, was neben der besonderen Gestaltung ein zentraler Grund war, die Kirche unter Denkmalschutz zu stellen. Bis zum Anfang dieses Jahrtausends wurde Heilige Familie für Gottesdienste genutzt und bildete dadurch ein wichtiges gemeinschaftliches Zentrum des Stadtquartiers aus.
Prozess | Beteiligte
Anfang des neuen Jahrtausends wurden dann schließlich zwei lokale Gemeinden vereinigt und die Kirche wurde nicht weiter für Gottesdienste genutzt. Das Kirchengebäude wurde jedoch nie entweiht.
Seit 2007 wird das Gebäude von der Oberhausener Tafel genutzt und dient als zentrale Verteilstelle für Lebensmittel an Bedürftige. Als ‚Tafelkirche‘ hat die Kirche Heilige Familie damit inzwischen überregionale Aufmerksamkeit erregt.
Seit Anfang 2022 hat sich ein Förderverein gegründet, der sich zum Ziel gesetzt hat, das denkmalgeschützte Gebäude so gut wie möglich zu erhalten. Zudem sollen Möglichkeiten erarbeitet werden, wie die Tafelkirche über die Nutzung als Verteilzentrum für Lebensmittel hinaus als sozialer und kultureller Begegnungsort etabliert und so ein noch stärkerer Teil des Stadtviertels werden kann.
Nutzungskonzept | Neunutzung
Die Nutzung als Standort der Oberhausener Tafel trägt die kirchliche Tradition als Ort, an dem gemeinsam das Brot gebrochen wird, fort. Seit 2007 teilen hier an mehreren Tagen in der Woche Ehrenamtliche Lebensmittel an insgesamt mehr als 3.000 Bedürftige aus.
Die dafür notwendigen baulichen Maßnahmen waren sehr übersichtlich, es wurden eine Theke sowie neue WC-Anlagen eingebaut, die allesamt reversibel und damit denkmalgerecht gestaltet sind. Die Hauptausgabe findet meist im zentralen Kirchenraum statt, in dem sich auch mehrere mobile Kühlwagen befinden, in welchen die Lebensmittel zwischengelagert werden.
Es ist angedacht, durch eine mögliche Erweiterung der Lagerflächen in angrenzenden Gebäuden den zentralen Kirchenraum als zentralen Begegnungsort zu nutzen, an dem Kulturveranstaltungen stattfinden könnten.
Besonderheiten | Erfahrungen
Die ‚Tafelkirche‘ Heilige Familie in Oberhausen ist aus mehreren Gründen ein eher untypisches Beispiel für die Transformation von Kirchengebäuden. Die katholische Pfarrkirche wurde nicht entweiht, sondern in der Tradition des Ortes zu sozialen, caritativen Zwecken an die Oberhausener Tafel zur Verfügung gestellt. Für die neue Nutzung waren keine architektonischen Eingriffe nötig, der ursprüngliche Kirchenraum ist vollständig erhalten und in seiner ursprünglichen Atmosphäre spürbar geblieben. Um die aufwendige Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes zu ermöglichen, hat sich außerdem ein Förderverein gegründet, der die Erweiterung zu einem sozialen und kulturellen Begegnungszentrum für das gesamte Quartier zum Ziel hat.