Projekt

Jakobuskirche | Beerdigungsinstitut und Veranstaltungsraum

Gelsenkirchen
Ort
45899 Gelsenkirchen, Laurentiusstraße 33
Ursprüngliche Nutzung
Pfarrkirche und Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Horst; Evangelische Kirche von Westfalen
Neue Nutzung
Beerdigungsinstitut und Veranstaltungsräume
Gebäude
1963 erbaut, Architekten: Ernst Otto Glasmeier, Egbert Drengwitz und Hubert Halfmann, Gelsenkirchen | seit Ende 2006 ohne kirchliche Nutzung | 2013 geringfügiger Umbau
Denkmalschutz
Das Kirchengebäude und Gemeindezentrum stehen nicht unter Denkmalschutz.

Ortslage | Städtebauliche Situation

Die ehemalige Kirche liegt am südwestlichen Rand des Stadtteils Gelsenkirchen-Horst innerhalb eines Wohngebietes mit zwei- bis dreigeschossigen Siedlungshäusern zwischen Emscher, Rhein-Herne-Kanal, einer Güterbahntrasse in Hochlage und Schnellverkehrsstraßen. Das Versorgungszentrum Horst befindet sich in ca. einem Kilometer Entfernung, südlich grenzt zu beiden Seiten des Kanals der Nordsternpark an.
Der Gebäudekomplex besteht aus Kirche, separatem Turm und Gemeindehaus sowie Pfarrer- und Küsterwohnung. Er ist parallel von der Straße zurückgesetzt und von dieser mit einem überdachten Gang zwischen Turm und Kirche getrennt. Hierdurch entsteht ein definierter, aber einsehbarer Vorplatz. Der Turm besetzt die Straßenecke als städtebauliche Dominante im heterogenenWohngebiet Horst-Süd. Zur südlichen Wohnbebauung hin lagen die Hausgärtender kirchlichen Wohnungen und ein Freibereich der Kirche.

Gebäude | Bauform

Das Kirchengebäude steht giebelständig zur Straße und ist mit dem zurückliegenden Gemeinde- und Wohnhaus durch eine eingeschossige Sakristei verbunden. Die einfachen, rechtwinklig angeordneten Baukörper mit flach geneigtem Satteldach waren außen einheitlich mit hellgelben Klinkern bekleidet. Der rechteckige, hallenartig längsgerichtete Kirchenraum wurde nur von einer kleinen Empore über dem seitlichen Eingang, einem um vier Stufen erhöhten, schlichten Natursteinaltar und einem ebensolchen Predigtpult räumlich gegliedert. Die Innenwände sind gleichfalls in gelbem Klinker ausgeführt und der Raum schließt mit einer flachen, ungegliederten Holzdecke ab. Die westliche Wand ist in der oberen Hälfte in sechs Feldern bunt verglast, die Ostwand weist im unteren Wanddrittel fünf liegende Buntglasfensterauf. Die schmucklose Altarwand ist vollständig geschlossen.

Historische Bedeutung | Soziales Umfeld

Der Stadtteil Horst wurde als Arbeiterstadtteil durch die ehemalige Zeche Nordstern geprägt. Nach deren Schließung lag hier die Arbeitslosigkeit deutlich höher als im Gelsenkirchener Durchschnitt. Der Stadtteil hat einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund, da die umliegenden ehemaligen Zechenwohnungen überwiegend an Bürger muslimischen Glaubens verkauft wurden, die ca. 500 Meter von der Kirche entfernt eine größere neue Moschee errichteten.

Kirchliche Nutzung | Einbindung in die Bürgergemeinde

Die Evangelische Kirchengemeinde Gelsenkirchen-Horst schrumpfte von 14.500 Mitgliedern im Jahr 1958 auf nur noch 5.900 Mitglieder im Jahr 2008. Von vier Pfarrstellen wurden bisher drei aufgegeben, ein weiteres Gemeindehaus und zwei Pfarrhäuser wurden verkauft. Eine Kindergartengruppe und ein Jugendheim wurden wegen mangelnder Personalmittel geschlossen.
Ein Gemeindezentrum reicht inzwischen für die Bedürfnisse der verbliebenen evangelischen Bevölkerung aus. Die Gemeindearbeit wurde deshalb auf das nahe gelegene Paul-Gerhardt-Haus konzentriert. Hier existiert ein gut erschlossenes Zentrum mit größerem Gemeindehaus und kleinerer Kirche gegenüber der schlechter erschlossenen, größeren Jakobuskirche mit kleinerem Gemeindehaus. Allerdings fehlen in der Gemeinde nun Freizeitangebote für Jugendliche, die auch nicht von der Kommune übernommen werden konnten.

Prozess | Beteiligte

Zur Suche nach einer Nachnutzung bearbeitete ein Lenkungskreis mit Vertretern von Kreiskirchenamt, Landeskirche und Stadtverwaltung unter Federführung der Kirchengemeinde einen Projektprozess. Das Baureferat der westfälischen Landeskirche war bei der Formulierung von Anforderungen an eine Machbarkeitsstudie sowie bei der Gestaltung des Prozessweges unterstützend tätig. Der Lenkungskreis wählte die Planer unter drei Angeboten aus. Drei Umnutzungsvarianten wurden entwickelt:

– kirchenähnliche Nutzungen ohne Veränderung des Kirchenraumes;

– Nutzung mit Veränderung des Kirchenraumes für Wohnen, Büro, Gastronomie, Gesundheitszentrum, nicht störendes Gewerbe oder Kultur, jeweils kombiniert mit Wohnen in den weiteren Gebäuden;

– Abriss der Kirchengebäude für Neubau von Wohnungen als betreutes Wohnen mit verschiedenen Nutzungsszenarien.

Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie wurden in einem transparenten Prozess gemeindeöffentlich kommuniziert und diskutiert.

Die Interessentensuche gestaltete sich aufgrund des überwiegend von reiner Wohnnutzung geprägten Umfeldes und des wenig prosperierenden Stadtteils schwierig. Nachdem Gespräche zur Nutzung der Kirche als Tanzschule gescheitert waren, ergaben sich lange Zeit keine konkreteren Möglichkeiten. So schienen der Abriss des Gebäudeensembles und eine Nachnutzung des Geländes mit Wohnungsbau bereits eine klare Option zu sein. Über Kontakte aus der Kirchenkreisverwaltung wurde dann ein privater Investor gefunden, der Interesse am Erhalt der Gebäude und einer kleinteiligen Umnutzung mit verschiedenen, den Gebäuden angepassten Nutzungen hat.

Nutzungskonzept | Neunutzung

Die Kirchengemeinde vergab das Gebäudeensemble in Erbpacht, was ihr langfristige Einnahmen für die Gemeindearbeit einbringen wird, die nach ca. 25 Jahren den heutigen Verkehrswert übersteigen werden. Für ein Bestattungsinstitut wurde im Kircheninneren unter der Empore ein Verabschiedungsraum eingebaut, auf der Empore befindet sich nun eine Sargausstellung. Außer einer neuen Transporttür in der Ostwand wurde der Kirchenraum kaum verändert und dient jetzt als Raum für Aussegnungsfeiern des Beerdigungsunternehmens, das die Sakristei als Büro- und Besprechungsraum nutzt. Das Gemeindehaus wird als privater Veranstaltungsort „Jakobi“ für Gesellschaften, Versammlungen und Familienfeiern sowie für Gruppentreffen vermietet. Im Untergeschoss entstanden Proberäume für Musikgruppen. Die Pfarrer- und Küsterwohnungen wurden vermietet. Den Erhalt des Kirchturms sicherte eine Mobilfunksendeanlage.

Besonderheiten | Erfahrungen

Die Jakobuskirche stand und steht nicht unter Denkmalschutz, wodurch ein Abriss und die Verwertung des Grundstücks als Möglichkeit für eine Nachnutzung an einem schwierigen Standort eher zur Diskussion standen. Umso überraschender und besser ist die gefundene Lösung mit Erhalt der Gebäude und Nutzungen, die dem Stadtteil Räume für soziale, gesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten erhalten haben. Für die verschiedenen Nutzungen waren kaum Umbauten oder größere Investitionen nötig, da sie gut zum vorgefundenen Raumangebot passen. Dies zeigt, dass auch als schwierig erachtete Gebäude mit wenigen Investitionen und Maßnahmen tragfähig genutzt werden können.

Eine Nachnutzung von Kirchengebäuden für privatwirtschaftlich betriebene Verabschiedungsräume wird allerdings von den übergeordneten Kirchenverwaltungen in der Regel ungern gesehen, da sie eine säkulare Beerdigungskultur inzwischen als stärker werdende Konkurrenz zur christlichen Tradition erfahren. Die Gemeinde findet diese Zusammenhänge meist weniger problematisch und empfindet die neue Nutzung als verträglich für das Kirchengebäude.

Jörg Beste, synergon Köln

Weitere Informationen zum Projekt:

https://www.bestattungen-nehrkorn.de/raeumlichkeiten.php